:Interview mit Frau Freitag von der Telefonseelsorge​​​​​​​
von Jessica Dornig, 27. Juli 2024
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Im Rahmen unseres Leitthemas des Monats Juli 2024 „Krisenbewältigung“ haben wir mit Frau Freitag von der Telefonseelsorge gesprochen. Frau Freitag ist Sozialpädagogin (BA), Supervisorin/Coachin (DGSV zertifiziert) und Leiterin der Ökumenischen Telefonseelsorge in Leipzig.
Ziel war es, die Telefonseelsorge näher kennenzulernen und ihre Ausrichtung einordnen zu können.
Frage 1: Was sind die häufigsten Gründe, warum Personen bei der Telefonseelensorge anrufen?
Das Hauptthema ist bei uns Einsamkeit und Isolation. Es gibt Personen, die z.B. allein leben, besonders auch ältere Personen und dann wirklich jemanden brauchen, mit dem sie reden können. Natürlich betrifft Einsamkeit aber auch Menschen, die in sozialen Netzwerken sind, wie z.B. Menschen mit Familien und Freundeskreisen, die natürlich trotzdem einsam sein können.
Der nächste Grund ist das Thema familiäre Beziehungen. Es rufen Menschen bei uns an, die Schwierigkeiten in Freundschaften oder Beziehungen haben. Vielleicht hat sich gerade der/die Partner*in getrennt. Zu familiären Beziehungen gehört alles, was das soziale Netz umfasst. Ein Beispiel wäre, wenn die anrufende Person zu einer Familienfeier eingeladen wurde, jedoch ein Geschwister nicht sehen möchte und fragt, was sie jetzt machen soll.
Dann ist der nächste große Punkt das körperliche Befinden. Entweder leiden die Personen akut an einer Krankheit oder haben chronische Erkrankungen, die sie sehr einschränken. Depressive Stimmungen sind bei uns noch ein Thema. Anrufende Personen sagen, dass sie nicht mehr weiterwissen oder sich antriebslos fühlen. Das heißt aber auch nicht gleich, dass bei diesen Personen die Diagnose Depression dahintersteckt.
Frage 2: Können Sie uns durch ein typisches Telefongespräch führen?
Ganz wichtig zu betonen ist, dass Gespräche mit uns immer anonym sind. Der/die Telefonseelsorger*in meldet sich ebenso mit „Hier ist die Telefonseelensorge, guten Tag“. Dann schildert der/die Anrufer*in meistens bereits sofort das Anliegen. Das können ganz viele Themen sein, aber meistens geht es dann um ein konkretes Anliegen und die Aufgabe des/der Telefonseelsorger*in ist zunächst, das Gespräch zu eröffnen. Die anrufende Person spricht erstmal viel darüber, was der eigentliche Grund für den Anruf ist. Dann kommt die nächste Phase, wo der/die Telefonseelsorger*in versucht, das nachzuempfinden und nachzufühlen, was zuvor erzählt wurde, aber auch Zeit für konkrete Nachfragen hat: „Fühlen Sie sich eher wütend oder traurig?“ Meistens hilft bereits dieser Teil den anrufenden Personen schon sehr – ein Gesprächsraum, in dem zugehört und nachempfunden wird und ein Verständnis für die anrufende Person gezeigt wird.
Dadurch bekommt die anrufende Person meist schon einen anderen Blickwinkel auf die Situation. Manchmal überlegt man auch gemeinsam, was den Anrufenden helfen könnte oder welchen nächsten Schritt sie gehen könnten. Am Schluss wird das Gespräch nochmal zusammengefasst und ein Ausblick gegeben.
Frage 3: Gibt es spezielle Unterstützungsangebote bzw. Ressourcen, die Sie den Anrufer*innen dann vermitteln könnten?
Das kommt immer auf das Anliegen an. Wir sind ein Seelsorgetelefon und wenn eine Person nach bspw. nach einer Erziehungsberatung für ihre Kinder sucht, versuchen wir diese Person an die entsprechenden Beratungsstellen zu vermitteln. Oder wenn es um häusliche Gewalt geht, ist es uns natürlich wichtig, dass unsere Telefonseelsorger*innen sagen können, dass es Frauenschutzhäuser und Notrufnummern gibt, die man anrufen kann. Trotzdem gehört es erstmal dazu, zuzuhören, worum es geht, Verständnis zu zeigen und dann zu schauen, in welche Richtung das Anliegen der anrufenden Person geht. Meist hilft das Zuhören eben schon. Der/Die Telefonseelsorger*in und die anrufende Person können auch gemeinsam schauen, was Schönes unternommen werden kann oder ob es hilfreiche Rituale gibt. Wir hören hin, wo Ressourcen sind, die der anrufenden Person vielleicht in diesem Moment helfen können.
Frage 4: Gibt es bei Ihnen im Haus Maßnahmen, die ergriffen werden, um die Qualität der Hilfe sicherzustellen?
Bevor die Telefonseelsorger*innen ans Telefon dürfen, gibt es bei uns eine Ausbildung. Diese Ausbildung umfasst 120 Stunden, die sich meistens auf fast ein ganzes Jahr strecken. Wenn sich jemand interessiert, bei uns ehrenamtlich mitzuarbeiten, durchläuft diese Person einen Ausbildungskurs, in dem wichtige Voraussetzungen vermittelt werden. Man lernt z.B. Gesprächstechniken kennen und übt in Rollenspielen, Personen gut zuzuhören.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Selbsterfahrung – damit ist gemeint, dass sich die angehenden Telefonseelsorger*innen selbst mit ihren Gefühlen zu Themen wie z.B. dem Tod auseinandersetzen. Dies geschieht, damit die Personen gut anknüpfen können und sich nicht in potenziell eigener Trauer verlieren, wenn sie darüber mit einer anrufenden Person sprechen. Das ist auch noch ein Teil der Ausbildung – die Abgrenzung. Gemeint ist damit, wie die Personen gut zuhören und sich gut in die anzurufende Person hineinversetzen können, aber dennoch ein Stück bei sich selbst bleiben und nicht in den eigenen Gefühlen verlieren.
Im letzten Teil der Ausbildung hospitieren die Telefonseelsorger*innen zuerst bei erfahrenen Ehrenamtlichen. Später gibt es bei uns dann regelmäßige Supervisionen. Supervisionen sind eine Reflektion der eigenen Arbeit. Einmal im Monat treffen sich Gruppen mit 10 bis maximal 15 Personen und einem/r ausbildeten Supervisor*in, um über die erlebten Anrufe zu sprechen. Manchmal geht es bei den Anrufen auch um schwierige Themen, wie z.B. Suizidalität oder Suizidprävention, die auch die Telefonseelsorger*innen belasten können. Auch machen wir regelmäßig Weiterbildungen zu verschiedenen Themen, wie z.B. zu Depressionen, Suizidalität, aber auch Weiterbildungen zum Auftritt am Telefon.
Frage 5: Ab wann „darf“ man denn bei Ihnen anrufen?
Man darf immer bei der Telefonseelsorge anrufen. Es gibt keine Beschränkungen hinsichtlich des Alters, der Religion oder (Religions-)Zugehörigkeit – alle Personen können mit allen Problemen anrufen. Während es zum Beispiel das Kinder- und Jugendtelefon gibt, wo nur Kinder und Jugendliche anrufen können, gibt es bei uns keine Altersbegrenzung und auch Personen unter 18 Jahren dürfen bei uns anrufen. Zudem sind wir im Gegensatz zu anderen Telefonstellen 24 Stunden, 7 Tage die Woche erreichbar. Es gibt eine deutschlandweite Telefonnummer, die man anrufen kann und dann an die entsprechende Stelle weitergeleitet wird – egal wie spät es ist. Die Anonymität ist bei uns sehr gut gewährleistet – die Nummer des Anrufenden ist für uns nicht erkennbar, wir wissen nicht, woher die Leute anrufen, niemand muss den eigenen Namen, das Alter oder sonstige Details nennen.
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Auf der Website der Telefonseelsorge, aufrufbar unter https://www.telefonseelsorge.de, finden Sie die Rufnummer und alle weiteren Informationen.
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Weitere Notrufnummern für verschiedene Krisensituationen finden Sie unter https://familienportal.de/familienportal/lebenslagen/krise-und-konflikt/krisetelefone-anlaufstellen.
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Ehrenamtlich Interessierte finden zudem weiterführende Informationen auf der Webseite der TelefonSeelsorge Leipzig: https://www.diakonie-leipzig.de/angebote_fuer_menschen_in_not_telefonseelsorge_de.html.
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