:Interview: Respektvolle Kommunikation mit Menschen mit Hörschädigung
von Madlen Anders, 27. März 2024
Einleitung
Für unseren Themenmonat „Beziehungen und Kommunikation“ haben wir ein schriftliches Interview mit Enja (@enjahoertwas) geführt, die an Taubheit grenzend schwerhörig ist und auf ihrem Social Media darüber bloggt. Wir wollten herausfinden, welche Herausforderungen Menschen mit Hörschädigung in einer mehrheitlich hörenden Gesellschaft erleben und wie wir empathisch und respektvoll miteinander kommunizieren können.
(Hinweis: Im Folgenden werden Menschen mit gesundem Gehör verallgemeinert als Hörende/hörende Personen bezeichnet. Dies soll nicht unterschlagen, dass natürlich auch viele Personen mit Hörschädigung ebenfalls hören können.)
Vorstellung
1. Als erstes erzähle uns gerne kurz etwas zu Deiner Person!
Ich heiße Enja und bin 29 Jahre alt. Ich bin seit dem Kleinkindalter an schwerhörig. Mit ca. 1,5 Jahren hatte ich meinen ersten Hörsturz, in den folgenden Jahren erlitt ich im Kindesalter noch einen und wurde so an Taubheit grenzend schwerhörig. Da auch meine beiden Brüder schwerhörig sind (es ist nicht bekannt, wieso ausgerechnet wir alle drei schwerhörig geworden sind), gingen wir alle am Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte in Oldenburg (kurz: LBZH Oldenburg) zur Schule. Dort lernte ich von klein auf auch die Gebärdensprache, da einige meiner Freunde und Bekannten an der Schule darauf angewiesen waren. Ich würde allerdings sagen, dass ich so gebärden kann, wie ich englisch spreche. Also es ist nicht meine Muttersprache, aber ich kann mich gut verständigen.
Ich habe links ein Hörgerät und rechts ein Cochlea Implantat Hybrid [nachfolgend z.T. „CI“; Anmerkung Madlen]. Das bedeutet, an diesem CI ist noch eine Akustik-Komponente dran, also quasi ein Mini-Hörgerät. Das rührt daher, dass ich, wie gesagt, an Taubheit grenzend schwerhörig bin (meine Hörkurven sind auf beiden Ohren relativ ähnlich). Ich habe also im Tieftonbereich noch Restgehör, welches von meinem Hörgerät und der Akustikkomponente aufgefangen wird. Den Hochtonbereich kann ich komplett nicht mehr hören, weswegen ich mich mit 17 Jahren für ein Cochlea Implantat entschieden habe. Bei den Voruntersuchungen wurde mir aufgrund meines Restgehörs dann die hybride Variante empfohlen und ich habe die Entscheidung dafür nie bereut.
Tatsächlich arbeiten die beiden Komponenten so gut zusammen, dass ich einfach kein zweites CI benötige (zumindest noch nicht) und es daher erstmal bei einem belasse.
Die Basics – Begriffe und Identität
2. Welche Begriffe verwendest Du, um über Deine Hörschädigung zu sprechen? Gibt es Begriffe, die für Menschen mit Hörschädigung oder taube Menschen diskriminierend sind?
Ich benutze oft den Begriff „an Taubheit grenzend schwerhörig“, da ich das ja bin. Ansonsten nutze ich die Worte „schwerhörig“ und „hörgeschädigt“ sowie „taub“ und „gehörlos“. Was ich auf keinen Fall benutzen würde, ist „taubstumm“, da taube Menschen, also gewissermaßen auch ich, ja keinesfalls stumm sind. Sie können sich verständigen – entweder mit der Lautsprache oder mit Gebärden oder über andere Wege. Demnach sind sie definitiv nicht stumm.
3. Im Englischen gibt es den Begriff „Deaf Culture / Deaf Community“, gibt es so etwas im Deutschen auch und wer gehört alles dazu?
Ja, definitiv! Ich weiß grad nicht, ob es einen bestimmten Begriff dafür gibt, aber die „Gehörlosen/Schwerhörigen-Kultur/Community“ (wie auch immer :D) ist in Deutschland echt krass. Man wird in neuen Hörgeschädigten- und Gehörlosen-Gruppen ganz anders aufgenommen als in Gruppen, in denen sich nur „Hörende“ befinden. Man findet schneller Anschluss und man hat nicht selten gemeinsame Bekannte, da sich dieses Netzwerk über ganz Deutschland erstreckt.
Dadurch, dass die meisten Hörgeschädigten und Gehörlosen im Laufe ihres Lebens auf verschiedene Schulen gehen, welche speziell für Hörgeschädigte sind, lernen sie dort immer wieder neue Leute aus anderen Städten kennen. Denn diese speziellen Schulen gibt es nicht in jeder Stadt. Ich bin in Oldenburg bis zur 10. Klasse zur Schule gegangen. Dann wollte ich aber noch weiter zur Schule gehen, doch die beiden Gymnasien für Hörgeschädigte, welche für mich infrage kamen, waren in Hamburg oder in Essen. Ich habe mich hier für Hamburg entschieden, da es näher an meiner Heimat war. Später bin ich allerdings doch noch nach Essen auf die Berufsschule gegangen.
Ich hätte auf „Hörende“-Schulen gehen können, allerdings sind die Klassen dort viel größer und man bekommt als hörgeschädigte Person nicht so viel mit. Ich habe es in einer „Hörenden“-Berufsschule versucht, bin allerdings irgendwann doch auf die Hörgeschädigten-Berufsschule gewechselt, damit ich meine Ausbildung vernünftig abschließen konnte.
Kommunikation
4. Welche Schwierigkeiten erleben hörgeschädigte Personen im Alltag in einer mehrheitlich hörenden Gesellschaft?
Was für mich zu Beginn am schwierigsten war: Hörende Menschen halten nicht unbedingt Blickkontakt, wenn sie miteinander reden. Demnach konnte ich anfangs, nachdem ich zum ersten Mal nach dem Schulabschluss in der „Hörenden“-Welt unterwegs war (in der Ausbildung), nicht einschätzen, ob die Personen mit mir gesprochen haben, oder habe manchmal nicht mal mitbekommen, dass mit mir gesprochen wurde. Unter Hörgeschädigten und Gehörlosen ist es „normal“, dass man Blickkontakt hält, wenn man sich miteinander unterhält, oder eben den Blickkontakt aktiv sucht, wenn man ein Gespräch beginnen möchte.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich mittlerweile selbst nicht mehr so aktiv Blickkontakt halte, da ich mich daran gewöhnt habe – ich habe mich praktisch der „Hörenden“-Welt angepasst.
Außerdem sind Störlärm-Situationen wie z.B. Restaurants etc. super unangenehm. Ich verstehe dort sehr wenig und bin am liebsten nur mit einer Person dort, da ich sonst dem Gespräch so gut wie gar nicht folgen kann. Es sei denn, ich bin mit Hörgeschädigten oder Gehörlosen dort, dann ist die Kommunikation um einiges angenehmer, da beide Seiten wissen, worauf sie achten müssen.
5. Welche Fehleinschätzungen haben Hörende oft, wenn sie auf Personen treffen, die eine Hörschädigung haben?
Ich habe tatsächlich schon öfter den Mythos gehört, dass ich mit meinen Hörhilfen ja besser hören müsste als die „Hörenden“. Das ist natürlich totaler Quatsch, das wird auch nie so sein. Ich höre zwar sehr gut mit meinen Hörhilfen, allerdings werden sie gerade in Störlärm-Situationen nie so gut die Stimmen rausfiltern können, wie es ein intaktes menschliches Gehör kann.
Ansonsten der Klassiker: die Menschen fangen an, überdeutlich, sehr langsam und super laut zu reden. Das ist nicht nötig, da diese überdeutliche Aussprache dann noch das Mundbild verfälscht und die Aussprache verzerrt. Also einfach am besten komplett normal sprechen, nur etwas lauter.
6. Was empfinden Personen mit Hörschädigung möglicherweise als No-Gos in der Kommunikation?
Der Satz „Ist nicht so wichtig“ ist wortwörtlich ein Stich ins Herz. Er grenzt uns quasi aus. Wir möchten selbst entscheiden, ob etwas wichtig war oder nicht, sonst würden wir ja nicht nachfragen.
7. Was kann eine hörende Person tun, um respektvoll und empathisch mit einer hörgeschädigten Person zu kommunizieren?
Die hörgeschädigte Person ganz normal behandeln :) Ggf. nachfragen, ob man irgendwas tun kann, damit die Person besser versteht (sei es bspw. ein Platzwechsel im Restaurant oder beim Gehen auf der rechten Seite laufen, da das rechte Ohr das stärkere Ohr ist). Und ich für meinen Teil freue mich, wenn jemand mir Fragen über meine Hörschädigung stellt und Interesse an mir hat. Aber: Mitleid oder Ähnliches finde ich schwierig. Ich kann natürlich nicht für andere sprechen und jede Situation ist unterschiedlich. Aber ich komme super mit meiner Situation zurecht und fühle mich komisch, wenn ich dafür bemitleidet werde.
8. Welche Möglichkeiten der respektvollen Kommunikation gibt es, wenn eine Person ausschließlich Gebärdensprache nutzt?
Man könnte versuchen, normal mit der Person zu sprechen. Manche können besser, andere eher weniger vom Mundbild ablesen, ich kann es auch einigermaßen. Wenn man allerdings merkt, dass die Person so nicht kommunizieren will, könnte man das Handy oder ein Papier und einen Stift rausholen und das Gesagte aufschreiben. Gerade im heutigen Zeitalter ist es natürlich super praktisch, dass fast jeder immer ein Handy dabeihat und somit etwas aufschreiben kann. :)
Ich denke mir aber, dass einige gehörlose Personen in den Situationen dann selbst zeigen, wie sie mit Dir kommunizieren wollen, vielleicht holen sie ja selbst das Handy von Beginn an raus. Immerhin sind sie selbst tagtäglich in solchen Situationen und wissen am besten, wie sie sich verständigen können und möchten. Also ist mein Tipp hier eher: Ganz darauf eingehen, was die gehörlose Person vorschlägt.
9. Was wäre nötig für eine bessere Integration und Sichtbarkeit von hörgeschädigten Personen in der Gesellschaft? Würden zum Beispiel Grundlagen der DGS (Deutsche Gebärdensprache) im Schulunterricht helfen?
Grundlagen der DGS in der Schule wären einfach klasse. Ich würde mich da riesig drüber freuen. Ansonsten für mich speziell: Untertitel, Untertitel, Untertitel. In allen möglichen Situationen. Spontan fällt mir die Bahnhof-Situation ein: Durchsagen verstehe ich so gut wie gar nicht. Natürlich sind wir beim Thema „Untertitel“ schon echt weit gekommen mittlerweile, aber da ist noch deutliches Potenzial nach oben! :)
10. Welche positiven Aspekte hat das Leben mit Hörschädigung, die aufgrund des Negativ-Stigmas für hörende Personen oft nicht ersichtlich sind?
Die oben genannte Community, dass man teilweise die Gebärdensprache je nach persönlichen Umständen lernt, dass man jederzeit die Geräte ausschalten kann und je nach Grad der Hörschädigung alle Geräusche ausblenden und die Stille genießen kann. Dass die heutigen Hörhilfen meistens mit Bluetooth ausgestattet sind und so direkt mit dem Smartphone gekoppelt werden können – so gelangen Telefonate, Musik und Podcasts direkt in Dein Ohr, ohne dass Du dran denken musst, Deine Kopfhörer einzupacken.
Und ich bilde mir ein, dass ich eine andere Sensibilität gegenüber meinen Mitmenschen entwickelt habe durch die Hörschädigung. Ob das ganz so stimmt, weiß ich natürlich nicht.
Mentale Gesundheit und Zugänglichkeit von Psychotherapie
11. Gibt es psychische Probleme, die Personen mit Hörschädigungen oft erleben? (z.B. Anpassungsdruck; sich ausgeschlossen/missverstanden-fühlen; Stigma, dass Behinderungen etwas Negatives sind; etc.)
Der Anpassungsdruck ist definitiv vorhanden. Zu oft habe ich in meinem Leben schon gedacht „Aber die anderen können das doch auch“. Beispielsweise in Restaurant-Situationen, weil ich nicht alles verstanden habe. Mittlerweile habe ich aber gelernt, das zu akzeptieren und es verletzt mich nicht mehr so. Zudem setze ich mich bewusst nicht mehr oft solchen Situationen aus, in denen ich Schwierigkeiten habe.
Ja, man fühlt sich auch oft ausgeschlossen und missverstanden, gerade wenn Sätze wie „War nicht so wichtig“ oder „Erzähl ich Dir später“ fallen. Es wird einem quasi die Entscheidung abgenommen, Teil der Unterhaltung zu sein bzw. selbst zu entscheiden, ob das Gesagte wirklich „unwichtig“ war.
12. Wie steht es um die Möglichkeiten für hörgeschädigte oder taube Personen, z.B. psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen? Wie zugänglich ist diese vor allem mit steigender Hörschädigung?
Es ist schon komplizierter, da man bestenfalls psychotherapeutische Hilfe benötigt, welche sich mit den Umständen einer Hörschädigung auskennt. Gerade wenn man die Therapiestunden als Patient damit verbringt, dem Gegenüber erklären zu müssen, wie die Umstände sind und warum einen gewisse Situationen belasten, frustriert das nur.
Zudem ist es für viele natürlich schwierig, dass man in solchen Praxen meistens anrufen muss, um Termin-Kapazitäten zu erfragen bzw. Termine zu vereinbaren. Hier wäre eine angenehmere Möglichkeit, also so etwas wie ein Online-Suchportal, um einen Therapieplatz in der Nähe zu finden und online Termine zu vereinbaren, super.